Mit Pizza und Pinsel

Zwei Unternehmer organisieren Malabende in der Kneipe - der Spaß zählt dabei mehr als das Werk.

von Christina Hertel am 2nd Feb 2017

Veröffentlicht: Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, 02. Februar 2017

Ursula und Klaus Richter sind ein ganz normales Ehepaar. Sympathisch, ohne dass man so genau sagen könnte, warum eigentlich. Vielleicht, weil er beim Lachen tiefe Grübchen bekommt. Vielleicht, weil sie sich offensichtlich sehr mögen, nach all den Jahren noch. Die beiden haben zwei Kinder, aber keine gemeinsamen Hobbys. Sie gehen nicht zusammen zum Tanzkurs und auch nicht zum Yoga. Weil ihnen irgendwo zwischen Waschmaschine und der letzten E-Mail an den Chef die Zeit abhandengekommen ist. Diesen Freitag soll das anders sein. Ursula und Klaus Richter wollen ein Bild malen. Zu Pizza und Wein, beim Italiener Gran Sasso in Neuhausen.

Alex Eloe und Oliver Breiter sind Geschäftsmänner - nicht der Typ Anzugträger, eher Typ Startup. Sie tragen Jeans und beide den gleichen schwarzen Pulli. "Artmasters" steht darauf, der Name ihrer neuen Firma, in bunten Farben. Vor etwa einem halben Jahr haben sich Eloe und Breiter folgendes Konzept ausgedacht: Menschen treffen sich in einer Kneipe. Dort zeigt ihnen ein Künstler, wie sie ein ganz bestimmtes Bild, das sie vorher online auf der Seite artmasters.de ausgesucht haben, auf die Leinwand bekommen. Jeder soll ein ansehnliches Werk mit nach Hause nehmen - egal, ob er regelmäßig in seinem Hobbykeller malt oder zwei linke Hände hat. Diesmal ist dran: München in Morgenstimmung mit Alpen und Frauenkirche, alles leicht rosa, lila und blau.

Malkurs nennen Eloe und Breiter ihre Veranstaltung nicht. Sie sagen "Malevent". Weil der Spaß im Vordergrund stehen soll und nicht das Ergebnis. Entdeckt haben sie das Konzept in den USA. Und nun wollen sie mit der Idee in Deutschland Geld verdienen. In München und Nürnberg, wo die beiden zu Hause sind, klappt das schon ganz gut: Zwischen zehn und 20 Teilnehmer kommen zu den Veranstaltungen. Stuttgart, Hamburg, Berlin sollen folgen. Vorher hatten sie mit Kunst relativ wenig zu tun. Eloe malt ab und zu "hobbymäßig", wie er sagt. Die Farben von seinem Kollegen jedoch sind irgendwann im Keller eingetrocknet. Weil aber einer wissen muss, wie es geht, heuern sie Künstler aus der Umgebung an - in München zum Beispiel von der Akademie der Bildenden Künste oder der Fakultät für Design.

Ursula und Klaus Richter sind die ersten, die am Tisch sitzen. Ihre Pizza haben sie schon aufgegessen. Vor ihnen steht eine Leinwand auf einer Staffelei, daneben ein Becher Wasser, Pinsel, Farbflaschen. Los geht's. "Vergesst den ganzen Schulquatsch", sagt Janosch Stein, der den Abend leitet. Er ist Designstudent, 25 Jahre alt und trägt wie seine beiden Chefs ein schwarzes T-Shirt mit dem Artmasters-Schriftzug. Was er eigentlich sagen will: Es gibt keine Noten und keine Regeln. Die Teilnehmer müssen ihm nicht steif nachmalen, sondern können ihr Bild gestalten, wie sie möchten.

Zuerst sind die Berge dran - ein bisschen lila und weiß mischen und locker auf der Leinwand verteilen. Nur nicht zu viel nachdenken, scheint die Devise zu sein. Für die meisten - gar nicht so einfach. Dem Ehepaar Richter gegenüber sitzt Christoph Ullmer. Er ist ein ordentlicher Mann, trägt ein weißes Hemd unter dem Pulli, hat einen Bart, aber nicht wie die meisten heutzutage lang und wildwuchernd, sondern akkurat gestutzt ums Kinn herum. Ullmer beginnt in der rechten Ecke seiner Leinwand und setzt ganz sauber Pinselstrich neben Pinselstrich. Nach einer Weile hat er ein großes rosa Rechteck, aber keinen Berg.

Den Kurs hat ihm seine Freundin zu Weihnachten geschenkt. Vorher hatte er zuletzt in der Schule einen Pinsel in der Hand. Schöne Erinnerungen verbindet er damit nicht. "Wahrscheinlich hatte mein Nachbar mehr Farbe im Gesicht als ich auf dem Blatt." So ähnlich erging es auch dem Ehepaar Richter. "Kunstunterricht bestand daraus, dass der Lehrer uns ein Thema gab und uns dann zwei Stunden allein ließ", erzählt er. Jetzt wollen sie es aber doch noch einmal probieren mit der Kunst. Um ihren Kindern, sieben und neun, auch mal zeigen zu können, wie man ein schönes Bild malt. Eigentlich, sagt Klaus Richter, sei es dafür schon fast zu spät. Inzwischen malen seine Kinder besser als er, "aber vielleicht inspiriert es sie ja, wenn Mama und Papa mit einem Bild nach Hause kommen".

Den Hintergrund, das rosa Alpenpanorama, haben inzwischen alle fertig. Jetzt ist die Skyline dran. Das Wichtigste: die Frauenkirche. Janosch Stein verteilt Bleistifte - wer will, darf die beiden Türme erst einmal vormalen. "Wenn sie nicht gleich hoch sind - kein Problem, in Echt sind sie das ja auch nicht", sagt er. Nur fällt das niemandem auf. Der Nordturm ist gerade mal zwölf Zentimeter höher als der Südturm. Aber die Botschaft ist klar: locker machen. Oder den Pinsel über die Leinwand tanzen lassen, wie Stein es ausdrückt.

Am Tisch hinter den Richters sitzt der Australier Jacob Sutton. Sieht surfermäßig aus, hat aber Angst vor Wasser. Jedenfalls ist er mit seinem Bild im Prinzip schon fertig. Zwei ziemlich große Frauentürme und daneben ein paar Häuser. Alles sieht ein bisschen zusammengewürfelt, ein bisschen unordentlich aus. "Es ist schwieriger, als ich dachte. Aber es ist cool", sagt Jacob Sutton. Er spricht deutsch, weil er in München einige Zeit als Aupair gearbeitet hat. Auffällig: Sein Bild ist eher braun und nicht so rosa wie die anderen. Auf seiner Palette hat er einfach alle Farben durcheinander gemischt. Was das soll? "Keine Ahnung. Ich bin farbenblind."

Manche sind schon zum zweiten Mal dabei. Suttons Freundin Sarah Newman aus New York zum Beispiel. Sie singt im Chor der Philharmonie. Ihr hat das Malen in der Kneipe so gut gefallen, dass sie jetzt einen Aquarellkurs besucht. Genauso stellen sich die Veranstalter Eloe und Breiter ihr Konzept vor: Dass ein Abend bei ihnen der Anreiz ist, mal wieder öfter die Farben auszupacken. Dass Teilnehmer immer wieder kommen, um Nachbarn zu treffen oder die Kneipe um die Ecke kennenzulernen.

Fast geschafft. Am Ende fehlt bei allen nur noch eines: die Signatur. Die dürfe nicht fehlen, sagt Janosch Stein. "Zu einem echten Werk gehört eine große Unterschrift." Ursula und Klaus Richter sind zufrieden, also halbwegs. "Ich finde dein Bild gut", sagt sie. "Ach, echt?", fragt er zurück. Welches sie aufhängen, das wollen sie daheim ihre Kinder entscheiden lassen.