Good Morning, Australia


Wenn Maggie Maas oder Alfred Fröschl ihr Funkgerät einschalten, wissen sie nicht, mit wem sie wo auf der Welt in Kontakt kommen - genau das ist der Reiz

Veröffentlicht: Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, 12. Juli 2018

Um Viertel nach neun an einem Mittwochvormittag ereignet sich für Maggie Maas ein kleines Wunder. Sie dreht an dem Knopf ihres Funkgeräts, es rauscht, raschelt, knackst. Und plötzlich hört sie eine Männerstimme, auf Englisch, aus Victoria, Australien. "Good Morning." "Good Morning." Der Mann erzählt, dass es in Australien gerade ziemlich nass ist. Und Maas, dass in München die Sonne scheint. "Was für ein wunderbarer Start in den Tag, dass diese Verbindung geklappt hat." Maggie Maas' Stimme flutscht ein paar Oktaven höher, so sehr freut sie sich. "Great", sagt der Mann. "Wonderful", sagt Maggie Maas, eine schlanke Frau mit blonden Haaren, schwarzem Rock und Blümchenshirt, Geschäftsführerin einer Uhrenmanufaktur. Und Amateurfunkerin, so wie rund 75 000 Menschen in Deutschland.

In Zeiten von Facebook und Twitter ist die Welt klein geworden. Revolutionen beginnen im Internet und Liebesgeschichten. Wer eine Frage hat, bekommt die Antwort von Google. Warum setzen sich Menschen heute noch stundenlang vor ein Gerät, um von irgendwoher ein Signal zu empfangen?

Im 19. Stock eines Hochhauses im Münchner Süden sitzt Maggie Maas in einem Zimmer, das nach altem James-Bond-Film aussieht. Vor ihr steht ein gutes Dutzend graue Kästchen mit kleinen Displays, Drehknöpfen, vielen Schaltern. Alles Funkanlagen. An der Wand hängen Karten, auf denen die Welt in kleine Quadrate eingeteilt ist. Über diesem Raum ist bloß noch der Himmel und eine Antenne, sieben Meter hoch. Das alles gehört Ulrich Rohde, den Maggie Maas nur den "Professor" nennt. Sein Vater gründete den Elektronikkonzern "Rohde & Schwarz". Ulrich Rohde lebt in Amerika und mietet diese Wohnung nur für sein Hobby. Maas besitzt einen Schlüssel und kommt hierher, wenn sie gerade Zeit hat. Sie wohnt nur zwei Stockwerke tiefer. Zufällig. Früher, erzählt sie, habe sie sich immer gefragt, was diese Antennen auf dem Dach eigentlich sollen. Maggie Maas lacht wie ein junges Mädchen.

Als Amateurfunkerin ist Maas Teil einer eigenen Welt, in der es sogar eine eigene Sprache gibt. Bevor sie sich als Maggie aus München vorstellt, nennt sie ihr Rufzeichen. Delta Lima Four Tango Tango Bravo. 73 heißt viele Grüße, 55 viel Erfolg. In dieser Welt hängt viel vom Zufall ab. Bis Maas jemanden findet, mit dem sie sich per Funk unterhalten kann, muss sie erst einmal suchen - nach der richtigen Frequenz, so ähnlich wie beim Radio.

Durch das Segeln kam Maas zum Funken, das war vor mehr als zehn Jahren. Damals nahm sie an Regatten quer durch die Karibik teil. Das Telefon funktionierte an Bord oft nicht, also musste sie auf ein anderes Kommunikationsmittel zurückgreifen. So wie alle Amateurfunker legte Maas eine Prüfung bei der Bundesnetzagentur ab. Früher in der Schule, sagt sie, sei Physik eine einzige graue Wolke in ihrem Kopf gewesen. Ohmsches Gesetz, Stromkreisläufe, Schallwellen, Frequenzen - alles ein Brei. Sie verstand nichts und fand das auch nicht schlimm. Für die Funker-Prüfung musste sie all das noch einmal lernen. Wenn ihr das früher mal jemand besser erklärt hätte, meint Maas, hätte sie vielleicht einen ganz anderen Weg in ihrem Leben eingeschlagen. "Heute löte ich auch mal gerne mit den Funkerjungs." In ihrer Handtasche hat Maas vier verschiedene Mobilfunkgeräte, alle haben eine kleine Antenne. Auch in ihrem Auto ist eine Funkanlage eingebaut.

Ein Abend zuvor. Im Wirtshaus am Rosengarten im Westpark sitzen 29 Männer und eine blonde Frau - Maggie Maas. Ein paar Männer essen Burger, Maas trinkt Cappuccino. Alle sind Mitglied im Deutschen Amateur-Radio-Club und treffen sich, um sich über das Funken zu unterhalten. Ihr Ortsverband München Süd sei der größte in ganz Deutschland, sagt Rainer Englert, der Vorsitzende. 178 Mitglieder. Ein Mann mit weißen Haaren steckt ihm einen gefalteten Zettel zu - sein ausgefüllter Mitgliedsantrag. "Und das ist Nummer 179", sagt Englert und klingt unheimlich zufrieden. Er ist 57 Jahre alt, Ingenieur, trägt ein hellblaues Poloshirt. Über der linken Brust steht Rainer, darunter DF2NU, sein Rufzeichen. Fühlt er sich in Zeiten von Internet und Smartphones mit seinem Hobby wie ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier? Der letzte seiner Art? Englert seufzt. "Ja, die Technik wurde vor 100 Jahren entwickelt. Aber wenn es danach geht, wäre Musikspielen doch noch altmodischer." W-Lan, Radio, sogar die Türöffner von Autos würden über Funktechnik betrieben. "Das ist doch alles ganz modern." Gerade baut Englert an einer Fernbedienung, mit der er gleichzeitig das Garagentor öffnen und die Beleuchtung seines Hauses steuern kann.

Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Stapel Postkarten - von den Azoren im Atlantik, von Trinidad in der Karibik und dem afrikanischen Inselstaat São Tomé und Príncipe. Palmen, Frauen im Bikini, kristallblaues Wasser. Für eine Verbindung, die ein Amateurfunker irgendwo auf der Welt hergestellt hat, bekommt er eine Karte, als Beweis sozusagen. Englert hat 40 000, schätzt er, eingeordnet in einen Karteikasten. "Wir Funker haben 50 Jahre vor Facebook ein internationales Netzwerk aufgebaut." Ein bisschen stolz hört sich das an.

Englert funkt, seitdem er 15 ist. Seine Neugier brachte ihn zu dem Hobby. Als Kind war er von der langen Antenne im Nachbargarten der Großmutter fasziniert. Irgendwann fragte er nach und der Nachbar zeigte ihm seine Anlage. "Das war irre. Die ganze Welt in einer Box."

20 Kilometer weiter nordöstlich, in Kirchheim am Stadtrand von München, hat Alfred Fröschl eine ganz ähnliche Geschichte zu erzählen. Er leitet den Ortsverband München Ost. Und auch er klingelte als Jugendlicher an einer fremden Haustür. In den Sechzigern war das. Fröschl glaubt, dass den Menschen die Fähigkeit, Dinge dem Zufall zu überlassen, verloren gegangen ist. Für jede noch so kleine Verabredung braucht es zehn Nachrichten bei Whatsapp. Funken sei das genaue Gegenteil davon. "Man weiß nie, was passiert."

Für Fröschl ist das Besondere am Funken, dass es so viel gibt, was er tun könnte. Den Mond anfunken, Sternschnuppen, Astronauten, Polarforscher. Gerade macht Fröschl aber nichts davon. Wenn er sein Funkgerät anschaltet, hört er bloß ein Rauschen. "Eine Störung", sagt er. "Aber ich finde schon heraus, woran es liegt." Normalerweise plaudert er per Funk über das Wetter, über die Technik oder seine Gesundheit. "Smalltalk halt." Maggie Maas liebt das. Natürlich sei es am Anfang gewöhnungsbedürftig gewesen, in ein Mikrofon zu fremden Leuten zu sprechen. Jetzt gehört es zu ihrem Leben. "Wissen Sie, ich glaube, jeder Mensch braucht doch ein Hobby. Und ich war nie eine Shoppingqueen." Sie sei eben eine Netzwerkerin.